Wer in der Logik nicht das Beben unter der Rinde hört,
verwechselt sie mit einem Herbarium von Redeblumen.
Ernst Bloch

Einleitung in die Logik

Das Wort “Logik” hat eine lange Geschichte. Es kommt aus der altgriechischen Sprache und geht dort auf das Verb légein zurück, das ursprünglich eine ganz konkrete, praktische Bedeutung hatte: zusammenlegen, (ein)sammeln und auflesen (z. B. verstreut liegende Holzzweige oder Steine). In dieser Grundbedeutung stimmt das griechische légein sowohl mit dem lateinischen legere als auch mit dem deutschen Wort lesen überein; denn alle drei Verben sind wortverwandt und haben den gleichen Ursprung. Das Wort légein gewann später die übertragene Bedeutung von: darlegen, zählen, rechnen und lesen (z. B. einen Text lesen, das bedeutet ursprünglich: Buchstaben zusammenfassen und auslegen).

Aus dem Verb légein wurde das Substantiv logos abgeleitet, das ursprünglich auch Sammlung und Gesamtheit, später dann aber DarlegungRechenschaft und Berechnung hieß. In der theoretisch entwickelten Sprache hatte logos die Bedeutung von Argumentation oder Beweisführung und hieß allgemeiner auch SatzWort und Rede. In der griechischen Philosophie wurde der Begriff logos schließlich so weit gefasst, dass darunter auch das “einsichtige” Denken, die “Vernunft” und bei Heraklit sogar das “Weltprinzip” verstanden wurde.

Mit diesem Logosbegriff orientierten sich die Griechen in ihrem Denken und Handeln deutlich an dem Kriterium der einsichtigen “Vernünftigkeit” und “Rationalität”, und es entstand ein bedeutsamer Gegensatz zwischen den Begriffen logos und mythos. Das Wort mythos heißt soviel wie Erzählung, Dichtung oder Sage. Mythen dienten dazu, mit Hilfe von Erzählungen die Entstehung und den Verlauf der Welt zu erklären. Doch mit dem Wunsch nach Begründung und Beweis der Erklärungen wurde bei den Griechen der mythos bald abgewertet und als bloß erfundene, erdichtete und unüberprüfbare Weltsicht begriffen. Ihm wurde der nachprüfbare, “wahre” logos entgegengesetzt. Die griechische Bevorzugung des logos gegenüber dem mythos hat das abendländische Denken stark geprägt und es stets als ein betont “rationales” Denken bestimmt. Heute wird aber eine kontroverse Auseinandersetzung darüber geführt, ob dieses abendländische, rationale Denken überhaupt in der Lage ist, die komplexe Welt angemessen zu begreifen und widerzuspiegeln.

Vom Wort logos wurde das Substantiv logiké (techné) abgeleitet. Es hatte zunächst die Bedeutung: "Technik (Kunst) der vernünftigen Rede". In diesem Wortsinn lieferte der Ausdruck logiké auch die Vorlage für das ins Deutsche übertragene Wort "Logik", das erst seit dem 16. Jahrhundert bei uns auftritt. Seit dieser Zeit verstehen wir unter dem Wort "Logik" die Lehre vom folgerichtigen, schließenden Denken. Der Sache nach wurde eine solche Denklehre aber schon viel früher begründet. In der griechischen Antike begannen im sechsten und fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Philosophen Heraklit, DemokritProtagoras, Hippias und Platon mit ersten Untersuchungen zur Logik.

Aber es war wohl zuerst Aristoteles, der systematisch die allgemeinen Formen des folgerichtigen Denkens untersuchte, indem er von dem konkreten Inhalt der Sätze abstrahierte und die Richtigkeit einer Folgerung allein aufgrund ihrer besonderen sprachlichen Form aufzeigte. Aristoteles hob hervor, dass in einer logischen Schlussfolgerung die sachliche Bedeutung der einzelnen Sätze gar keine Rolle spielt. Lediglich die besondere sprachliche Form der Folgerung gewährt schon die Richtigkeit des Schließens. Damit war Aristoteles der erste, der die rein formale Struktur des Denkens im Hinblick auf seine Richtigkeit untersucht hat. Wir betrachten dazu einmal das folgende Beispiel:

Wenn gilt:

Alle Lebewesen sind sterblich,

und:

Alle Menschen sind Lebewesen;

Dann folgt

Alle Menschen sind sterblich.

Aristoteles hatte erkannt, dass diese gesamte “wenn-dann”-Beziehung aufgrund ihrer sprachlichen Form schon in jedem Falle “richtig” oder “gültig” ist, ganz unabhängig davon, ob die einzelnen Teilaussagen inhaltlich wahr sind oder nicht. Denn anstelle der konkreten Begriffe wie “Lebewesen”, “sterblich” und “Mensch” können beliebige andere Begriffe gewählt werden, ohne dass die Gültigkeit dieser Schlussfolgerung verletzt wird. Diese allgemeine Geltung drückte Aristoteles mit Hilfe von Buchstaben A, B, C usw. aus, für die dann beliebige Begriffe eingesetzt werden können:

Wenn gilt:

Alle B sind C,

und:

Alle A sind B;

Dann folgt

Alle A sind C.

Aristoteles nannte ein solches Dreisatz-Schema des logischen Schließens einen Syllogismus (griech. Zusammenzählung). Er besteht darin, dass aus zwei Sätzen rein formal ein dritter Satz gefolgert werden kann. Die beiden ersten Sätze heißen Prämissen (lat. Voraussetzungen), während der dritte Satz die Konklusion (lat. Zusammenschluss, Folgerung) des Syllogismus heißt. Wenn dann die Prä­missen wahr sind, so ist auch die Konklusion wahr. Neben dem oben genannten Beispiel fand Aristoteles noch weitere achtzehn gültige Syllogismen (= Schlussformen), aus zwei Prämissen eine Konklusion zu gewinnen. Dazu betrachten wir noch ein anderes Beispiel:

Wenn gilt:

Kein Säugetier legt Eier; 

und:

Alle Wale sind Säugetiere, 

Dann folgt

Kein Wal legt Eier.

Dieser Schluss hat die folgende allgemeine Form:

Kein B ist 

1. Prämisse (Voraussetzung)

Alle A sind B;

2. Prämisse (Behauptung)

Kein A ist C.

Konklusion (Schlussfolgerung) 

Die aristotelische Syllogistik (= Schlusslehre) stellt aus heutiger Sicht einen Spezialfall des logischen Schließens dar. Sie war lange Zeit der einzig entwickelte Teil der Logik und beeinflusste so den Stil der älteren Philosophen, die oft in Form von Syllogismen argumentiert haben. Mit der Einführung von Buchstaben­variablen A, B, C usw. leitete Aristoteles in der Logik schon jene Formalisierung ein, die in der neuzeitlichen Mathematik erstmals im 16. Jahrhundert bei François Viète mit seiner “Buchstabenrechnung” auftrat. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, war die aristotelische Formalisierung der Syllogismen schon der entscheidende Schritt zur Herausbildung einer rein formalen Logik, d.h. einer Denklehre, welche die formalen Bedingungen der Richtigkeit von Schlussfolgerungen thematisiert.

Die Idee, das menschliche Denken und insbesondere das logische Denken als eine mathematische Kombinationskunst (ars combinatora) aufzufassen und auch zu systematisieren, wurde im Mittelalter wohl erstmalig durch den spanischen Philosophen Raimundus Lullus vorgestellt. Für ihn war Logik die Kunst, allein mit Hilfe des Verstandes zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Für eine solche “große Kunst” (ars magna) konstruierte Lullus eine “logische Maschine”, die aus sieben um ein Zentrum drehbaren Scheiben bestand. Auf jeder dieser Scheiben standen Begriffe wie “Mensch”, “Wissen”, “Wahrheit” usw. und logische Verhältnisse wie “Unterschied”, “Gleichheit”, “Widerspruch” usw. Durch Drehen der Scheiben ergaben sich dann verschiedene Verknüpfungen, die Schlussfolgerungen aus vorgegebenen Prämissen darstellten.

Die Grundidee einer rein formalen Logik ist dann am weitesten von Leibniz, dem Mitbegründer der Differential- und Integralrechnung, formuliert worden. Leibniz ging soweit, für das Denken eine Art Universalmathematik (mathesis universalis) zu fordern, die alle Wissenschaften zu einer Einheit verbinden sollte. Eine solche Universalmathematik müsste nach seiner Vorstellung auf einer besonderen Zeichen- oder Symbolsprache (lingua characteristica) aufgebaut werden, die alle Sprachen übergreifen soll. Mit Hilfe eines allgemeinen Rechensystems (calculus ratiocinator) sollte dann das Auffinden von gültigen Schluss-Sätzen allein durch formale Umformungsregeln der Zeichensprache gewährleistet werden. Ein solches Rechensystem des Denkens, ein solcher Kalkül der Logik, sollte dann garantieren, jeden logischen Denkfehler in einer Argumentation als bloßen Rechenfehler zu entlarven. Leibniz hatte dabei die utopische Vorstellung, dass die Menschen sich eines Tages nicht mehr über Wahrheit oder Falschheit ihrer Argumente zu streiten brauchten, sondern einfach mit Bleistift und Papier die Wahrheit durch eine “Rechnung” herausfinden könnten. “Lasst uns rechnen!” (Calculemus) war die Devise. Damit war also die Vorstellung verbunden, dass sich das logische Denken ganz durch Rechnen ersetzen ließe. Mit dieser Forderung nach einer Mathematisierung der Logik war Leibniz wohl der erste Logiker, der aus heutiger Sicht die Idee einer rein formalen, universal anwendbaren Logik programmatisch vorgestellt hat, ohne selbst aber ein solches Rechensystem der Logik entworfen zu haben.

Das war die große Aufgabe der späteren Logiker, für die jene Idee von Leibniz bis auf den heutigen Tag eine Herausforderung bedeutet hat. Doch hat die Geschichte der Logik trotz enormer, ja revolutionärer Fortschritte auch stets die unüberwindlichen Grenzen einer beabsichtigten Mathematisierung des Denkens zutage gebracht. Denn jede Mathematisierung, wie aus­gefeilt sie auch sein mag, stellt von vornherein eine Abstraktion des menschlichen Denkprozesses dar. Sie kann das sehr komplexe, lebendige Denken mithin nur verkürzt, partiell und daher nicht wirklich wiedergeben und vertreten.

Leibnizens Traum von einer Universalmathematik des Denkens ist ausgeträumt. Eine Mathematisierung kann nur teilweise, bezogen auf einen eng definierten Bereich des Denkens, realisiert werden. Aber dieser Anwendungsbereich ist von großer Bedeutung für die Wissenschaft, Technik und Lebenspraxis der Menschen geworden.

Die ersten Resultate in der Schaffung einer einheitlichen Symbolsprache der Logik wurden erst im vorigen Jahrhundert erzielt. Im Jahre 1847 veröffentlichte der englische Logiker George Boole das wohl folgenreichste Werk in der Geschichte der formalen Logik: “An Investigation of the Laws of Thought” (Eine Untersuchung der Gesetze des Denkens), in welchem er die einzelnen Elemente und die Gesetzmäßigkeiten der Logik untersuchte.

Boole versuchte, die Struktur des logischen Denkens als eine solche zu begreifen, die verwandt ist mit der Struktur der normalen Zahlenalgebra, so dass bei ihm die logischen Verknüpfungen von Gedanken nach ähnlichen Regeln aufgebaut sind wie die bekannten algebraischen Beziehungen von Zahlen. Die Logik hat nach Boole also eine algebraische Struktur. Das Wort “Algebra” kommt aus dem Arabischen. Der Mathematiker Al-Chwarizmi legte mit seinem berühmten Buch: "... Al-ğabr wa-'l-muqābala", d.h. “Wiederherstellen und Ausgleichen”, die Grundlagen für das Lösen von Gleichungen. Die Algebra war zunächst auch eine Gleichungslehre. Aber mit der “Buchstabenrechnung” von François Viète begann eine Entwicklung, in der sich die Algebra mehr und mehr mit den allgemeinen Verknüpfungsstrukturen von Zahlenmengen beschäftigt und die Gesetze der verschiedenen Rechnungsarten: Addition, Subtraktion, Multiplikation usw. untersucht.

Nun betrachtete Boole auf ähnliche Weise die Verknüpfungsstrukturen des logischen Denkens, bei denen er eine verblüffende Verwandtschaft zu der Zahlenalgebra entdeckte. In seinem Hauptwerk “Eine Untersuchung der Gesetze des Denkens” fasste Boole alle sprachlichen Denkformen so auf, als seien sie Opera­tionen von Zeichen, “durch die die Begriffe von den Dingen so kombiniert und aufgelöst werden, dass sie neue Begriffe bilden, welche dieselben Elemente einschließen [...]. Und diese Symbole der Logik sind in ihrem Gebrauch bestimmten Gesetzen unterworfen, die zum Teil übereinstimmen und zum Teil sich unterscheiden von den entsprechenden Gesetzen der Algebra”. In der Nachfolge von George Boole haben zahlreiche Logiker seine Grundlagen erweitert und dann verallgemeinert.

Der Logiker Gottlob Frege veröffentlichte 1879 sein bahnbrechendes Logikwerk: “Begriffsschrift”, in dem er eine erste Darstellung der Logik in Form einer formalisierten Sprache vorstellte. Dabei ging er von einigen wenigen Sätzen als Grundsätzen aus, die er unbewiesen als wahr voraussetzte und die somit die Basis für das System der Logik bildeten. Aus diesen Grundsätzen, die auch Axiome (griech. axioun = wertschätzen, für richtig halten) genannt werden, leitete er alle Gesetze der Logik in formalisierter Gestalt her. Insofern legte Frege als erster die Logik als ein rein formales, axiomatisches System vor. Frege versuchte dann, die Mathematik mit Hilfe der Logik zu begründen. Dies wurde in großem Umfang später von den beiden Logikern Bertrand Russell und Alfred North Whitehead in ihrem 1903 veröffentlichten Werk “Principia Mathematica” ausgearbeitet.

Eine bedeutsame Rolle in der Geschichte der formalen Logik spielte dann das 1928 erschienene Werk “Grundzüge der theoretischen Logik” von David Hilbert und Wilhelm Ackermann, deren Formalisierung und Axiomatisierung in gewissem Sinne einen Höhepunkt und Abschluss erreicht hat. Die Einleitung ihres Werkes beginnt mit den folgenden Worten:

“Die theoretische Logik, auch mathematische oder symbolische Logik genannt, ist eine Ausdehnung der formalen Methode der Mathematik auf das Gebiet der Logik. Sie wendet für die Logik eine ähnliche Formelsprache an, wie sie zum Ausdruck mathematischer Beziehungen seit langem gebräuchlich ist. [...] Die logischen Sachverhalte, die zwischen Urteilen, Begriffen usw. bestehen, finden ihre Darstellung durch Formeln, deren Interpretation frei ist von den Unklarheiten, die beim sprachlichen Ausdruck leicht auftreten können.”

                            Hilbert / Ackermann,  Grundzüge der theoretischen Logik, Einleitung

 Anders als Frege, der die Mathematik auf der Basis der Logik begründen wollte, versuchen Hilbert und Ackermann, die Logik zu mathematisieren. Sie entwickeln dabei zwar einen streng formalistischen Kalkül der Logik und beleben die alte Idee von Leibniz, der logisches Denken in ein “Rechnen” überführen wollte. Doch sie lassen dabei weiterhin die philosophische Frage offen, ob und inwiefern dieses formalistische Logikkonzept in der Lage ist, die theoretischen und praktischen Probleme der Menschen angemessen zu erfassen.

 

Reiner Winter, Grundlagen der formalen Logik

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