Die Eule als Symbol der Philosophie

Die Wahrnehmungsfähigkeit der Eulen ist hochentwickelt. Ihre Augen sind extrem licht-empfindlich und sehr groß. Sie sind starr nach vorne gerichtet, was ihnen besonders gut das räumliche Sehen ermöglicht. Mit einem Sehfeld von etwa 70 Grad und der raschen Drehmöglichkeit ihres Kopfes bis zu 270 Grad können Eulen allein mit dem Kopf blitzschnell ihre Umgebung in einem Umkreis von etwa 340 Grad erfassen. Das ist fast ein voller Kreis. Dabei kann infolge der großen Hornhaut ihrer Augen auch geringes Licht noch optimal ausgenutzt werden. So können die Eulen, die von Natur aus weitsichtig sind, bei Dämmerung und auch in der Nacht noch sehr gut sehen. Zu dieser besonderen Sehfähigkeit gesellt sich zusätzlich ein ausgezeichnetes Hörvermögen. Denn ein großer Gesichtsschleier aus Federn dient wie ein Parabolspiegel als akustischer Verstärker, so dass Eulen Geräusche ihrer Umgebung und insbesondere bewegliche Objekte präzise orten können.

 

So verwundert es nicht, dass die Wahrnehmungsleistungen der Eule metaphorisch auch als Bild für geistige Fähigkeiten dienen, so zum Beispiel ihre Weitsicht und ihre Einsicht in komplexe Strukturen, ihr Durchblick, besonders bei Dunkelheit, das genaue Zu- und Hinhören sowie ihre Flexibilität beim Annehmen von verschiedenen Positionen des Kopfes. Diese Fähigkeiten sind somit in besonderer Weise geeignet, symbolisch auf die entsprechenden Eigenschaften des Denkens und insbesondere auf die des Philosophierens übertragen zu werden.

 

Und da die Eule ferner bei der Nahrungssuche und Jagd eine große Geduld und Ruhe ausstrahlt, galt sie in der Antike auch allgemein als Symbol für Gelassenheit, für ein gründliches Nachdenken, für das Überlegen sowie für Vernunft und Besonnenheit. Und damit galt sie als Symbol für die Philosophie selbst, für das Streben nach Wahrheit und Weisheit; denn auch die Philosophie will ja mit Klugheit, Besonnenheit und Beharrlichkeit gerade dann noch "gut sehen" und "weit blicken" können, wenn es um uns herum überall "dunkel" geworden ist und die Sicht durch Gewohnheit, Tradition, Religion, Ideologie und andere Trübungen verhindert oder "vernebelt" ist.

 

Die bildliche Darstellung einer Eule hat eine lange Tradition, die weit zurückreicht bis in die Zeit der alten Hochkulturen in Babylonien, Ägypten, Indien und China. In der abendländischen Kultur findet sich ein sehr frühes Bild auf einer Geldmünze der griechischen Antike etwa um 450 bis 410 vor unserer Zeitrechnung:

Es handelt sich bei der hier abgebildeten Münze um eine antike Tetradrachme, die im Original etwa so groß war wie heute eine Euro Münze, allerdings viel dicker und stärker ausgeprägt. Die heutige, griechische Ausgabe der Euromünze zeigt auch genau dieses alte Eulenmotiv der Tetradrachme. Das Wort "Tetradrachme" (τετρα δραχμα) bedeutet "vier Drachmen" und "Drachme" bedeutet ursprünglich "eine Hand voll".

 

Eine Drachme hatte den Wert von 6 Oboloi (Plural von Obolos - òβωλóς). Der Obolos war ursprünglich ein kleiner Bratspieß, der zum Aufspießen von Fleisch berechtigte und somit vor der Münzprägung als Zahlungsmittel diente. Der Tauschwert einer Tetradrachme lag bei einem Schaf und die Olympiasieger erhielten, je nach Disziplin, 400 - 500 Drachmen, also ein Vermögen in der damaligen Zeit, das die Sieger reich und berühmt machte. 

Auf dieser Münze, die 47 Gramm reines Silber enthielt, ist eine Eule (γλαυξ), ein Olivenzweig und eine kleine Mondsichel abgebildet. Außerdem finden sich rechts von der Eule senkrecht die griechischen Buchstaben: ΑΘΕ (Alpha, Theta, Epsilon) als Abkürzung für Athen (Άθηναι). Die Tetradrachmen von Athen, auch kurz "Eulen" genannt, waren als universelle Handelsmünzen hochgeschätzt und weit verbreitet. Sogar im fernen Yemen wurden sie imitiert. 

 

Die bekannte Redewendung "Eulen nach Athen tragen" geht auf den griechischen Dichter Aristophanes zurück, der in seiner Komödie "Die Vögel" (Ornithes - Ὃρνιθες) meinte, dass die Bewohner Athens so reich seien, weil in ihren Geldbörsen die "Eulen" Junge bekämen. Daher sei es überflüssig, mit Steuern noch weitere "Eulen" nach Athen zu tragen, denn: "An Eulen wird es ihnen nie mangeln."

 

Auf der Rückseite der Tetradrachme war der Kopf der Schutzgöttin Pallas Athene geprägt. Die Eule war das Symbol dieser Göttin, nach der die Stadt Athen auch ihren Namen erhielt. Sie galt als Göttin der Städte, des Kampfes und der Weisheit, außerdem als Oberhaupt der Künste und der Wissenschaften. Pallas Athene wurde auch als "glaukopis" (γλαυκωπις) bezeichnet, d.h. die "eulenäugige", "helläugige" oder als "diejenige, die wie eine Eule sehen kann".

 

Das symbolische Bild von der Eule der Athene hat Hegel an einer berühmten Stelle seiner Philosophie des Rechts verwendet, wobei er anstelle der griechischen Göttin Athene die ihr entsprechende römische Göttin Minerva verwendet:

 

"Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."