Logos

 

 

Das Wort "Logos" wird aufgrund seiner griechischen Herkunft mit einem offenen "o" ausgesprochen, also ähnlich wie das Wort "Kosmos", das ebenfalls aus der altgriechischen Sprache kommt. Das Wort "Logos" geht auf das Verb légein zurück, das ursprünglich eine ganz konkrete, praktische Bedeutung hatte: zusammenlegen, (ein)sammeln und auflesen (z.B. verstreut umherliegende Holzzweige).

 

Aus diesem Verb légein wurde das Substantiv logos abgeleitet, das ursprünglich auch Sammlung und Gesamtheit, später dann aber Darlegung, Rechenschaft und Berechnung hieß. In der philosophisch entwickelten Sprache hatte logos die Bedeutung von Argumentation oder Beweisführung und hieß allgemeiner auch Satz, Wort oder Rede. In der griechischen Philosophie wurde der Begriff logos schließlich so weit gefasst, dass darunter auch das "einsichtige" Denken, die "Vernunft" und bei Heraklit sogar das "Weltprinzip" verstanden wurde:

 

Diesen Logos, der doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört noch, sobald sie davon gehört haben. Denn obgleich alles nach diesem Logos geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts davon ahnten. (Heraklit, Fragment 1)

 

Mit diesem Logosbegriff orientierten sich die Griechen in ihrem Denken und Handeln deutlich an dem Kriterium der einsichtigen "Vernünftigkeit" und "Rationalität", und es entstand ein bedeutsamer Gegensatz zwischen den Begriffen logos und mythos. Das Wort mythos heißt soviel wie Erzählung, Dichtung oder Sage. Mythen dienten dazu, mit Hilfe von Erzählungen die Entstehung und den Verlauf der Welt zu erklären. Doch mit dem Wunsch nach Begründung und Beweis der Erklärungen wurde bei den Griechen der mythos bald abgewertet und als bloß erfundene, erdichtete und unüberprüfbare Weltsicht begriffen. Ihm wurde der nachprüfbare, "wahre" logos entgegengesetzt. Die griechische Bevorzugung des logos gegenüber dem mythos hat das abendländische Denken stark geprägt und es stets als ein betont "rationales" Denken bestimmt. Heute wird aber eine kontroverse Auseinandersetzung über die Frage geführt, inwieweit dieses abendländische, rationale Denken überhaupt in der Lage ist, die komplexe Welt angemessen zu begreifen und widerzuspiegeln.

 

Vom Wort logos wurde das Substantiv logiké (techné) abgeleitet. Es hatte zunächst die Bedeutung: Kunst der vernünftigen Rede. In diesem Wortsinn lieferte der Ausdruck logiké auch die Vorlage für das ins Deutsche übertragene Wort "Logik", das erst seit dem 16. Jahrhundert bei uns auftritt. Seit dieser Zeit verstehen wir unter dem Wort Logik die Lehre vom folgerichtigen, schließenden Denken.

 

Eine bekannte Verwendung des Wortes logos steht in der Bibel und zwar im Johannesevangelium, das etwa um 150 unserer Zeitrechnung in griechischer Sprache geschrieben wurde. Es erinnert sehr stark an die Lehre von Heraklit, der ja 600 Jahre früher lebte. Es beginnt mit folgenden Worten:

Εn archè èn ho lògos

 

Im Ursprung war der Logos

 

Die übliche, aber sehr problematische Übersetzung lautet: Im Anfang war das Wort. Spätestens Goethe hat an der Übersetzung von logos als Wort (= das Ausgesprochene, Gesagte) Anstoß genommen. Im Faust diskutiert er verschiedene andere, philosophisch bemerkenswerte Möglichkeiten:

 

Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“

Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muss es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Dass deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Goethe Faust, Teil 1, 1232 f.